Intention und Repertoire

Peter Froundjian über die »Raritäten der Klaviermusik«

Why is great music often forgotten? Not because it is unworthy of a future, but because of the circumstances in which it was launched. It is a tragic that a number of worthy compositions are plunged into oblivion following their premieres. Among factors contributing to their early devise are: Imperfect performance, biased criticism, or audience indifference.

Vladimir Dukelsky (alias Vernon Duke), Gründer der "Society for Forgotten Music"

Drei Jahrzehnte schon findet dieses Festival alljährlich für eine Woche im August im Schloss vor Husum statt – „a festival with a meaningful rather a superficial difference“ (Bryce Morrison).

 

Raritäten “live” in Konzerten zum Leben erwecken

Bei dem Begriff „Raritäten“ handelt es sich in diesem Fall nicht um Werte, die umso höher ausfallen, je weniger von dem jeweiligen Produkt auf dem Markt verfügbar ist wie bei Weinen, Briefmarken etc., sondern um den aus einem gewissen Gerechtigkeitsempfinden heraus entstandenen Impetus, Werke eines riesigen Repertoires, welche aus den verschiedensten Gründen im Musikleben zu kurz kommen, „live“ ans Licht zu holen, d.h. in Konzerten zu Leben zu erwecken. „Raritäten“ entstehen ja nicht als solche – es ist vielmehr ihr augenblicklicher Status. Dieser kann sich in den Zeitläufen ändern und aus ihm hinausführen, was in vielen Fällen nur wünschenswert wäre. Freilich gibt es unter den selten gespielten Kompositionen etliche, die den Keim, zu einer „Rarität“ zu werden, in sich tragen – sei es, dass sie schwer zugänglich sind, oder sei es, dass sie allerhöchste technische Ansprüche an die Ausführenden stellen.

 

Werke aus den Zwischenphasen der Musikgeschichte

Bei diesem Festival kommen eher die Zwischenphasen der Musikgeschichte, in die hinein geleuchtet wird, zum Vorschein, Werke der „aus der Zeit Gefallenen“ unter den Komponisten, auch Frühwerke von Komponisten, deren Profil sich später anders herausbildete, werden mit unverstelltem Blick ernst genommen, und selbst Klavierwerke „nur“ mit dem „gewissen Etwas“ werden dem Publikum zum unverhohlenen Hörgenuss dargeboten.

 

Höhepunkte in der Festivalhistorie

Als Höhepunkte in der „Historie“ dieses Festivals müssen erwähnt werden: die Aufführungen von Alkans „Symphonie“ und „Concerto“ für Klavier solo durch jeweils Ronald Smith und Marc-André Hamelin schon im Jahre 1989, ferner die von Julius Reubkes Sonate b-Moll durch Hamish Milne im selben Jahr. 1990 spielte Hamelin bereits eines der herausragenden Variationenwerke des 20.Jhdts., Frederic Rzewskis „The People United Will Never be Defeated“, und 1992 wurde die Aufführung einer Zusammenstellung von 23 Klavierstücken Alexander Skrjabins unter dem Titel „Goldregen“ durch Igor Shukow als „Sternstunde“ wahrgenommen. Aufschlussreiche (Neu-)Einschätzungen boten die Aufführungen folgender bemerkenswerter Sonaten des Repertoires: der Sonate b-Moll von Balakirew, der Sonate f-Moll, op.27 von Ljapounow, der 1. Sonate op.6 von Mjaskowsky, der Sonate F-Dur, op.12 von Sibelius, der Sonate e-Moll, op.63 von d’Indy, der Sonate es-Moll von Dukas, der Sonate d-Moll von Benjamin Dale, der Sonate (1923) von Pierre de Bréville, der drei Sonaten von Szymanowski, der 4. Sonate (1924) von Leo Ornstein, der Sonate (1948) von Dutilleux und nicht zuletzt den beiden Sonaten op.7 und op.57 von Carl Czerny.

 

„Es ist der Entdeckerfreude kein Ende.“

Natürlich durften bei einem Festival wie diesem die drei „Symphonischen Metamorphosen über Joh.Strauß ’sche Themen“ (Künstlerleben: Fledermaus; Wein, Weib und Gesang ) von Leopold Godowsky ebenso wenig fehlen wie Liszts „Réminiscences de Norma“, die „Réminiscences de ‚La Juive‘ “ und die „Tannhäuser-Ouvertüre“. Als weitere „Highlights“ dürften genannt werden: Poulencs „Aubade“ in der Solo-Version und seine „Soirées de Nazelles“, Piernès „Trios pièces formant Suite de concert“ op.40, Ignaz Friedmans „Studien über ein Thema von Paganini“ op.47b und seine „Passacaglia“, Chevillards Transkription von Chabriers „Espana“, Michel Dalbertos Solo-Version der „ Vier letzten Lieder“ von R. Strauss, die „Rosenkavalier-Suite“ op.59 in der Solo-Version von Frédéric Meinders, Roland Pöntinens „Improvisationen über Fellinis ‚Amarcord’“ -Musik von Nino Rota, Regers „Bach – Variationen“ op.81, die zweimalige Gesamtaufführung von Albéniz‘ „Iberia“, Joseph Marx‘ „Praeludium und Fuge“ sowie seine „Schmetterlingsgeschichten“, Ravels „La Parade – Suite de Ballet“ (1896), die erste komplette Aufführung von Hamelins „12 Etudes in All the Minor Keys“ (1986-2009) durch den Komponisten selber sowie die Uraufführung seiner „Variations on a theme of  Paganini“ in Jahr 2011, Felix Blumenfelds „24 Préludes“ op.17 und skandinavische Klaviermusik, gespielt von Håvard Gimse. – In Abwandlung des Schumann-Zitats möchte man sagen: „Es ist der Entdeckerfreude kein Ende.“